2. Oktober 2005
Viel Aufregung für eine Maine Coon: das Abenteuer beginnt
Gestern war mein Zuhause noch in Ückendorf, einem Stadtteil von Gelsenkirchen. Dort lebte ich zusammen mit dem Kater Mister Moon und den Katzen Lorraine, Vicky, Alischa und Alinka bei Elke und Wilfried Hölter. Ich bin eine Maine Coon, das ist eine aus Amerika stammende Katzenrasse, die von Elke mit viel Erfolg gezüchtet wird.
Am Nachmittag kamen eine Frau und zwei Männer (Silke, Bernd und Peter) zum Kaffeetrinken. Ich war ein wenig misstrauisch, weil sich die beiden Männer mehr für mich und weniger für Kaffee und Kuchen zu interessieren schienen und sogar schon meinen Namen wussten.
Wie sich später herausstellte war meine Vorsicht auch gerechtfertigt, denn plötzlich saß ich in einem Transportkäfig. Ganz toll fand ich aber, daß alle meine Katzenfreunde kamen, um sich von mir zu verabschieden – sie legten sich vor den Käfig und guckten durch die Gittertür. Die Frau und die beiden Männer trugen den Käfig zu einem Auto und fuhren mit mir sogar über eine Autobahn. Schließlich hielten wir vor einem großen Haus. Bernd und Peter verabschiedeten sich von Silke und trugen mich drei Etagen hoch zu ihrer Wohnung. Und da ist jetzt mein neues Zuhause.
3. Oktober 2005
Mein Tag der Deutschen Einheit – oder „Alice in Wonderland”
Ich ließ es mir zwar nicht anmerken, aber aufgeregt war ich doch ganz schön. Während ich noch in dem doofen Transportkäfig saß, machte Bernd erst einmal etwas zum Abendessen für sich und den Peter. Der entkorkte eine Flasche Rotwein und stellte für mich – das entdeckte ich später – ein Katzenmenue und etwas Wasser zum Trinken zurecht.
Dann schalteten die beiden den Fernseher an und setzten sich zum Abendbrotessen an den Couchtisch. Peter hatte die Tür vom Käfig aufgemacht und so konnte ich mir erst mal ganz ungestört die Wohnung ansehen.
Ich stellte ganz schnell fest, dass ich es hier gut aushalten konnte: Katzenklo, Futterstelle, Kratz- und Kletterbaum (mit Höhle) sind in Ordnung. Da bin ich erstmal zu den beiden Männern, um ihnen das zu sagen. Auf der Couch fand ich eine Zeitung – da konnte ich es mir so richtig bequem machen und zeigen wie wohl ich mich fühlte. Peter sagte: „Auf dieser Zeitung liegt ein kluger Kopf” und Bernd: „Die fühlt sich wie »Alice in Wonderland«.”
So kamen die beiden auf einen neuen Namen für mich: „Alice”.
Eigentlich heiße ich ja „King of Lion’s L-Maraya.” Ich bin am 27. August 2000 in Kamen geboren und stamme aus gutem Hause. Wie sich das für eine anständige Rassekatze gehört, besitze ich eine richtige Ahnentafel: ein Großvater, eine Urgroßmutter und zwei Ururgroßmütter waren US-Champions; von weiteren Champions, Great Champions, European Champions und Great International Champions mal ganz abgesehen. Alle Main Coon stammen übrigens aus der sogenannten Neuen Welt. In Maine, einem Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Amerika, sind wir zu Hause.
Dort wird hinter vorgehaltener Pfote erzählt, dass die Maine Coon die Frucht der Liebe zwischen einer Katze und einem Waschbären seien. Aber darüber werde ich ein anderes Mal ausführlich berichten.
5. Oktober 2005
Ich entdecke eine neue Welt – oder Abenteuer auf dem Balkon
Goldener Oktober: heute war draußen so ein richtig strahlender Sonnentag und da blieb die Balkontür eine ganze Weile offen.
Ehe ich mich nach draußen wagte, habe ich mir erst mal von der Türschwelle aus alles ganz genau und in Ruhe betrachtet.
Ein paar Stühle, ein Tisch, große und kleine Blumentöpfe, ein Springbrunnen ohne Wasser (ist ja auch schon Oktober), ein Bottich mit Gras und allerhand Sammelsurium stehen da rum. Rechts an der Wand drei Töpfe mit Tomatenpflanzen (abgeerntet, aber eine blüht schon wieder).
Dann bin ich langsam nach draußen. In der einen Ecke ist ein rundes Loch, da muss ich ganz besonders drauf achtgeben. Ganz tief geht es da runter. Jetzt gucke ich jedesmal erst ganz genau nach, ob da irgendeine Maus oder Ratte den Versuch macht, widerrechtlich auf unseren Balkon zu kommen. Der würde ich ganz einfach den Hals umdrehen.
Die andere Ecke von dem Balkon ist aber viel interessanter: da steht nämlich der Bottich mit dem Gras, von dem ich fressen und in dem ich auch ganz bequem sitzen kann.
An der Stelle hat der Peter ein Loch in die Wand von dem Balkon gesägt. Das ist mein „Fenster zur Welt”, denn hier kann ich stundenlang Katzenfernsehen.
Als ich das erste Mal durch das Loch gesehen habe, habe ich mich ganz fürchterlich erschrocken. Ganz tief geht’s da runter: drei Etagen. Unten ist so ein Garten wie bei meinem vorigen Zuhause.
Es gibt Gras und Bäume und ich kann auch noch andere Gärten und andere Häuser sehen. Ganz weit weg sind auch noch Häuser, bis zu denen ich sehen kann. Und überall sind Balkons an den Häusern, auf denen oft Menschen sitzen. In dem Gras wimmelt es von kleinen Tieren, die ich von hier oben ganz genau betrachten kann. Und in den Bäumen und an den Dächern der Häuser haben Vögel ihre Nester: Elstern, Amseln, Meisen und viele andere ... aber leider kann ich nicht fliegen. Zwei Häuser weiter ist kein Garten; da fahren und stehen Autos, Menschen steigen ein und aus, laufen rum und es ist immer ganz spannend.
Unten ist das „Mykonos”, eine griechische Gaststätte, in der es leckere Sachen zum Essen gibt – wenn dort das Küchenfenster offen ist, riecht es nämlich so gut, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Meine beiden Männer gehen öfter dorthin zum Essen.
Hoffentlich wird nicht so schnell aufgeräumt, denn es gibt noch viele Dinge auf dem Balkon, die ich interessant finde und in denen ich herumwühlen kann. Ganz besonders hat es mir die Tüte mit der Blumenerde angetan und viel Spaß habe ich mit der großen grünen Gießkanne. An der Tülle davon kann ich nämlich ganz herrlich meine Lefzen reiben.
Jetzt kommt leider die kalte Jahreszeit und ich kann immer nur kurz auf unseren Balkon. Aber im nächsten Jahr werden dort wieder Tomaten und Blumen gepflanzt und neues Gras in dem Bottich ausgesät. Dann wollen meine beiden Männer auch wieder ganz viel draußen sitzen, und außerdem hat mir der Peter versprochen, dass er mir außen auf der Fensterbank einen Liegeplatz bauen wird. Von da aus kann ich dann noch viel weiter und viel mehr sehen.
9. Oktober 2005
Kreuzworträtselraten – so holt man seine Schmuseeinheiten
Heute haben meine beiden Männer am Tisch gesessen und ein Kreuzworträtsel geraten. Da waren sie eine ganze Weile mit beschäftigt – es war nämlich ein ganz kniffliges aus meiner Lieblingszeitung („Dahinter steckt ein kluger Kopf”).
Ich musste natürlich mit dabei sein. Jedesmal, wenn es mir zu langweilig wurde, habe ich meinen besten Trick angewendet: einmal ganz langes und tiefes Seufzen. Und schon war eine Hand frei, um mir den Kopf zu Kraulen – und ich musste nicht mehr seufzen, konnte mein zufriedenstes Schnurren einschalten.
Das war so richtig gemütlich. Nach dem Rätselraten hat der Peter aus einem Buch von einem Tierarzt in Amerika vorgelesen. „Dr. David Brunner: Die Katze – Inbetriebnahme, Wartung und Instandhaltung”. Und die beiden haben viel gelacht. Auch über Main Coon stand was drin: „Eine der größten Hauskatzen. Freundlich und gutmütig. Temperamentvoll, aber nicht unberechenbar.” Richtig gut, das wusste ich schon immer. Ganz fürchterlich haben die beiden dann gelacht, als der Peter vorlas: „Miaut nicht, sondern klingt eher wie ein rostiges Türscharnier.” Das fand ich gar nicht zum Lachen!
3. November 2005
Schon wieder im Transportkäfig – aber war alles nur halb so schlimm ...
Heute Nachmittag habe ich wieder einmal ein tolles Abenteuer erlebt. Die Sonne schien ins Fenster und ich zeigte dem Peter gerade so richtig, wie wohl ich mich fühlte, habe geschmust und geschnurrt ...
... und plötzlich saß ich wieder im „Skipper III” – so heißt der doofe Transportkäfig, in den ich doch nie wieder rein wollte. Weil ich dachte, dass ich wieder weg müsste, habe ich erst einmal ganz fürchterlich und laut geweint, als mich der Peter dann durch das Treppenhaus getragen hat. Auf der Straße war es dann schon nicht mehr so schlimm – es gab nämlich eine ganze Menge zu sehen und der Peter hat auch dauernd mit mir geredet.
Aber dann waren wir schon ganz schnell am Ziel. Durch eine Tür, an der „Tierarzt” stand, kamen wir in ein großes Zimmer mit vielen Stühlen, Bildern und Blumen. Der Peter sprach erst mit einer jungen Frau und dann mussten wir eine ganze Weile in dem Zimmer warten – deshalb hieß das auch „Wartezimmer”.
Nach und nach wurde es in dem Wartezimmer immer voller. Erst kam eine Frau mit einem ganz lieben Collie mit Dackelbeinen, dann noch eine Frau mit einer großen weißen Schäferhündin, die auch ganz lieb war – als schließlich ein Mann mit einem schwarzen Schnauzer kam, wurde es sehr laut: die kläfften sich vielleicht an. Ein Glück, dass ich eine Katze bin – von Geburt an wohlerzogen – die nichts aus der Ruhe bringen kann.
Endlich kam der Tierarzt und rief uns in sein Zimmer. Der Peter machte die Tür von dem Käfig auf und der Doktor holte mich aus der Kiste raus. Der war aber lieb. Ich habe mich gar nicht gesträubt, als er mir in den Mund guckte, an mir horchte und mich abtastete. Ganz stolz war ich, als er sagte, dass ich eine Schönheit sei, dass ich ein einmalig schön gezeichnetes Fell hätte und dass ich kerngesund sei. Das hat den Peter natürlich auch gefreut. Dann sagte der Doktor: „In einem Jahr muss sie dann wieder geimpft werden”. Ich war also gerade geimpft worden, hatte aber gar nichts davon gemerkt.
3. Oktober 2006
Gestern wollte ich mein Wandastraßenjubiläum feiern ...
... doch dann kam alles ganz anders und für mich wurde es das größte Abenteuer meines bisherigen Lebens. Wir hatten – wie jeden Tag – gerade schön gefrühstückt und ich dachte noch: was für ein schöner Tag – jetzt bin ich schon ein Jahr bei meinen beiden Männern; da werden wir es uns mal so richtig gemütlich machen.
Stattdessen fingen die beiden an, eine fürchterliche Unruhe zu verbreiten und Bernd sagte zu mir: „Alice, wir ziehen um.” Sie nahmen mein Katzenklo, meinen Futterplatz, ein paar Koffer und schleppten das alles aus unserer Wohnung. Ich ahnte schon Schlimmes und habe mich vorsichtshalber unter den Betten versteckt.
Das half aber nichts – mit einem Besen hat der Bernd mich unter dem Bett vertrieben und der Peter hat mich eingefangen. Schon saß ich wieder in meinem Transportkäfig und wurde auch aus der Wohnung getragen. Vor dem Haus stand ein großes schwarzes Auto. Da sind wir eingestiegen. Der Peter hat sich an das Lenkrad gesetzt und dann sind wir stundenlang ganz weit weg gefahren. Dann fuhren wir ganz langsam, manchmal standen alle Autos still und der Peter sagt: „Das fängt ja gut an.”
Noch zweimal gab es Staus auf der Fahrt und es war schon ganz dunkel als wir schließlich in einer ganz großen Stadt ankamen. Wir fuhren erst an einem hohen Turm mit vielen Lichtern vorbei und dann über eine ganz lange und breite Straße, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Schließlich stand mitten auf der Straße ein Turm mit einem großen goldenen Engel drauf. Da sind wir dann abgebogen und schließlich hielt der Peter das Auto vor einem ganz hohen Haus an. Das war mindestens doppelt so hoch wie das Haus wo wir bis jetzt gewohnt haben.
„Fünfhundertsechsundzwanzig Kilometer” meinte der Peter. Da sind die beiden erstmal ausgestiegen und haben die Koffer aus dem Auto geholt. Endlich durfte auch ich aus dem Transportkäfig. Ich habe mir die Wohnung angesehen. War sehr leer da, nur ganz wenige Möbel gab es; aber das Wichtigste war: mein Katzenklo und meinen Futterplatz habe ich gleich wiedergefunden.
In dem Zimmer, zu dem sie Schlafzimmer sagten, stand nichts außer zwei Nachtschränkchen mit zwei Nachttischlämpchen. Auf dem Fußboden hat der Peter zwei große Luftmatratzen aufgeblasen – und mich bedroht: „Wehe, Du steckst da Deine Krallen rein!” Und Bernd sagte: „Alice, Du wohnst jetzt in Berlin.” Na, das war vielleicht eine komische Nacht in der kahlen Wohnung, aber ich habe es mir bei meinen beiden Männern doch ganz gemütlich gemacht.
Am Morgen sind die beiden dann aus dem Haus gegangen und der Bernd ist ohne den Peter wiedergekommen.
6. Oktober 2006
Endlich ist alles wieder so, wie ich es gerne habe
Gestern Abend ist auch der Peter endlich wieder da gewesen und ich habe mich unheimlich gefreut – das habe ich ihm auch gezeigt.
Heute Morgen hat der Wecker ganz früh geklingelt. Kurz vor acht Uhr hielt ein Lkw mit einem riesigen Container vom Kreuzberger Umzugskombinat vor dem Haus. Eine Frau und ganz viele Männer schleppten alle Möbel und fast hundert große Kartons mit den vielen anderen Sachen aus unserer alten Wohnung in die neue Berliner Wohnung. Da wusste ich, was der Bernd meinte, als er zu mir sagte: „Alice, wir ziehen um.”
Und jetzt kann ich mit meinen beiden Männern endlich wieder in
Ruhe das Neueste aus aller Welt gucken.
Alice (King of Lion’s L-Maraya) 27. August 2000 - 29. August 2016
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